Exotischer Lebensstil in der Messestadt Riem

(aus 'Gesundheitsladen Rundbrief 4/99')

"Ohne Auto gilt man hier schon als sehr exotisch", so die Erfahrung der "Autofreien". Und wenn man die Situation vor Ort sieht, kann man diese Einschätzung gut nachvollziehen: eigentlich geplant als Stadtteil der kurzen Wege ist davon momentan noch nichts zu merken: es gibt keinen Laden, keine Kneipe, keine Wertstoffcontainer, keine Ärzte und keine Apotheke, ja nicht einmal einen Briefkasten oder eine Telefonzelle.

Wenigstens ist die U-Bahn fertiggestellt, die einen guten Anschluss zur Innenstadt bzw. zum Ostbahnhof bietet. Die meisten benutzen sie für den Weg zur Arbeit und für größere Besorgungen.

Um die Dinge des täglichen Lebens zu erledigen, muss man mindestens bis nach Trudering. Mit dem Fahrrad dauert das 5 bis 10 Minuten; mit Kleinkindern im Anhänger oder im Fahrradsitz dauert es länger und wird als ziemlich anstrengend eingeschätzt.

Viele haben deshalb ihr Einkaufsverhalten geändert: es wird seltener eingekauft, dafür geplanter; man legt zuhause Vorräte an und man lässt liefern (z. B. eine Öko-Kiste). "Und notfalls leiht man sich halt mal was beim Nachbarn aus."

Riem WEG Haus

"Exotisch" wirken auch die Häuser der WohnungsEigentümerGesellschaft WEG: durch ihre bunten, gut gegliederten Fassaden fallen sie zwischen den anderen, doch recht eintönigen Gebäuden der konventionellen Bauträger angenehm auf. Und da man selbst gebaut hat, konnte jeder Haushalt seine Wohnwünsche einbringen: es gibt jetzt 14 Wohnungen mit ganz individuellen Grundrissen und Ausstattungen, je nachdem ob jung oder Alt, Single, Paar oder Familie.

Durch das gemeinsame Planen und Bauen kennt man sich auch sehr gut und hat sich schon "zusammengerauft". Die Nachbarschaft wird daher von allen Familien als sehr angenehm empfunden. Die "Autofreien" sind aber nicht auf ihre Gruppe fixiert, sondern suchen Kontakte in alle Richtungen. Die allgemeine Entwicklung in der Messestadt wird mit großem Interesse verfolgt und alle hoffen, dass die Stadt bald etwas zum Thema Bürgerbeteiligung tun wird.

Riem autofrei 1999

Am schönsten in Riem finden es die Kinder: das ganze Gelände ist fast wie ein riesiger Abenteuerspielplatz und vor den Häusern der WEG stehen mittlerweile 3 Bretterhäuschen, die die Kinder selbst gebaut haben. Die Kindern erobern sich von Tag zu Tag mehr Freiräume und gewinnen ein großes Maß an Selbstständigkeit. Und dass Schule und Kindergarten gleich gegenüber sind, war auch für viele Eltern ein wichtiger Grund, hierher zu ziehen.

Sehen sich die Leute, die bewusst ohne eigenes Auto leben, eigentlich selbst als "Exoten"? "Wir sind vielleicht etwas konsumkritischer als die meisten", so Gertrud Ströbele, eine der Bewohnerinnen, aber bestimmt keine Öko-Freaks, Schicki-Mickis oder Neureichs. Wir sind alle ganz normal und unterschiedlich wie andere auch."

Obwohl es also in Riem nicht einfach ist, haben sich weitere Menschen zusammengetan, um dort ebenfalls autofrei zu wohnen. So erstellt die Wohnungsbaugenossenschaft WOGENO auf dem Nachbargrundstück 27 Genossenschaftswohnungen, die bis zum Schulbeginn 2000 bezugsfertig sein werden.

Eine zweite Gruppe von Interessierten fand das Beispiel der WEG "Autofrei Wohnen" so gelungen, dass sie -unterstützt von den "Pionieren" der ersten Baugruppe- ein ähnliches Bauprojekt realisieren möchte.

Neubaugruppe 1999

Die neue Baugruppe beim Planen
(vorne links: Gunhild Preuß-Bayer)

Wer sich für eines der neuen Bauprojekte interessiert oder mitmachen will (noch sind Wohnungen frei), kann weitere Informationen anfordern unter:

721 17 05 (WOGENO)
48 00 26 60 (2. Baugruppe)
201 18 98 ("Wohnen ohne Auto")

Maria Ernst

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