Thesenpapier: Autofreies Wohnen – Alternative Mobilität

Wer ist die Initiative „Wohnen ohne Auto“?

„Wohnen ohne Auto“ ist eine Initiative von Münchner Umwelt- und Verkehrsverbänden, die 1995 gestartet wurde. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass es einerseits viele Haushalte gibt, die über kein eigenes Auto verfügen und damit ihre Mobilität in einer überdurchschnittlich umweltfreundlichen Weise organisieren, dass aber andererseits Stadtplanung und Wohnungswirtschaft diese Gruppe ignorieren. Die Initiative versteht sich eher als Vermittlerin zwischen den Akteueren und will Projekte „anschieben“; sie tritt selbst nicht als Bauherr auf.

Kostenwahrheit als Qualitätsmerkmal

Die Kostenmiete eines Stellplatzes wird mit ca. 120.-- bis 150.-- € monatlich angegeben, die Marktmiete liegt mit 40.-- bis 70.-- € deutlich darunter. Stellplätze werden also zwangsläufig über die Wohnungskosten quersubventioniert. Selbst wenn die Wohnungsinhaber nicht verpflichtet werden, einen Stellplatz zu mieten bzw. zu erwerben, tragen die BewohnerInnen ohne Auto über in den Wohnungskosten versteckte Beträge die Kosten für die Stellplätze ihrer Nachbarn mit.

Wenn man die Mobilität der Haushalte ohne Auto betrachtet, wird schnell klar, dass sich die Kosten für ihre Mobilität völlig anders aufteilen als bei Haushalten mit privatem Auto. Beim autobesitzenden Haushalt geht ein hoher Anteil in die Fixkosten des Pkws, wie Wertverlust, Steuer und Versicherung. Auch Wartungskosten sind nur zum Teil fahrleistungsabhängig, zum anderern Teil aber zeitabhängig, also Fixkosten. Der variable Kostenanteil ist dem gegenüber relativ gering.

Ganz anders beim autofreien Haushalt: hier sind die Fixkosten, z.B. für die Bahncard und für die Zeitkarte des ÖPNV, niedriger als bei autobesitzenden Haushalten. Andererseits wird das gesparte Geld auch gebraucht, weil die variablen Kosten, z.B. für Fahrscheine und gelegentliche Taxifahrten, höher sind.

Ausserdem wirkt der Druck, dass die getätigten Fixkosten sich auch rentieren müssen, natürlich genua in umgekehrter Richtung wie beim autobesitzenden Haushalt: je öfter man die öffentlichen Verkehrsmitteln nutzt, desto eher lohnen sich diese Ausgaben.

Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang Untersuchungen über Car-Sharing-Nutzer, wie sie z.B. in München vom MVV in Zusammenarbeit mit STATTAUTO durchgeführt wurden. Einde dieser Untersuchungen kommt zu dem Ergebnis, dass sich bei Car-Sharing-Nutzern, die früher ein Auto besessen haben, die Jahresfahrleistung von im Durchschnitt 13.000 km vor dem Wechsel auf durchschnittlich 3.000 km verringerte. Dies unterstreicht, dass das Mobilitätsbedürfnis vieler Menschen mit einer weit unterdurchschnittlichen Pkw-Nutzung bereits befriedigt ist.

Diese Schlussfolgerung wird durch die Antworten auf weitere Fragen der genannten Untersuchung und auch durch den allgemein hohen Zufriedenheitsgrad der STATTAUTO-Kunden gestützt.

Nach einer Car-Sharing-Studie von Topel/Swerm kommt Car-Sharing bis zu einer Jahresfahrleistung von ca. 7.000 km billiger als ein privates Auto (der Grenzwert liegt zwischen 5.500 km und 10.000 km, je nachdem, welche Tarife überwiegend in Anspruch genommen werden – also z.B. eine stunden-, tageoder wochenweise Buchung.)

Angebot für eine bisher vernachlässigte Zielgruppe

Die Autofreiheit (im Sinne eines Verzichts auf ein privat genutztes Auto) erlaubt also eine flexiblere, bedarfsgerechte und umweltschonende Nutzung der existierenden Verkehrsangebote. Autofreie Wohnsiedlungen bieten diesen Haushalten die Möglichkeit von diesem Lebensstil auch selbst zu profitieren und entsprechende Vorteile zu genießen.

Diese Vorteile bestehen einerseits in einer höheren städtebaulichen Qualität und in einem besonders attraktivem Wohnumfeld, andererseits in einer Kostenersparnis.

Autofreie Projekte gibt es mittlerweile in vielen Städten in Deutschland und dem europäischen Ausland. Nach Größe, Zielgruppe und Eigentumsformen bilden sie ein recht breites Spektrum ab.

Mobilität à la carte

Wichtig für autofreie Projekte sind eine sorgfältige Standortwahl und ein Angebot an Mobililtätsdienstleistungen. Zu letzeren gehören:

  • Car-Sharing, eine der häufig von potenziellen BewohnerInnen als wichtig oder sehr wichtig genannten notwendigen Mobilitätsdienstleistungen
  • Quartiersdepot, das z.B. beim Hausmeister, einem Einzelhandelsgeschäft oder einer Gaststätte angesiedelt sein kann
  • Bring-Service, wie es sie z. T. Schon seit längerem gibt (Getränkezustellung, Öko-Abokiste usw.); mit der Verbreitung des Internets wird diese Dienstleistung vermutlich noch an Bedeutung zunehmen
  • Fahrrad-Verleih: während viele autofreien Haushalte mit eigenen Fahrrädern ausgestattet sind, ist der verleih von speziellen Fahrrädern und Zubehör interessant, bei denen sich die Anschaffung für den/die Einzelne/n nicht lohnt (Anhänger, Tandem, Liegerad, Mountainbike)
  • Fahrrad-Reparaturdienst: eine sehr häufig gewünschte Dienstleistung, die auch Möglichkeiten für alternative Beschäftigungsprojekte bietet

Weitere Angebote sind denkbar, wobei für Fantasie und Kreativität der PlanerInnen viel Raum bleiben sollte. Wichtig dürften vor allem Angebote sein, die den Zugriff auf ÖV-Dienstleistungen erleichtern; Informationsmöglichkeiten spielen hier eine große Rolle. Bei autofreier Mobilität ist der Bedarf an Vernetzung und Information wesentlich größer als bei einem autozentrierten Mobilitätsstil. Vorstellbar wäre z.B., dass in den Hausfluren einer autofreien Siedlung leicht zu bedienende Informationsterminals mit elektronischer Fahrplanauskunft stehen.

Ein interessantes Beispiel ist das Konzept von Incars, bei dem Wohnen und Car-Sharing aus einer Hand angeboten werden. Die Fahrzeuge werden doppelt genutzt und damit wirtschaftlicher betrieben: während der Woche als Dienstfahrzeuge des Wohnungsunternehmens, am Wochenende durch die BewohnerInnen.

Ein weiterer Ansatz sind Kooperationen von öffentlichem Verkehr und Car- Sharing, die es inzwischen in vielen Städten gibt. Vorstellbar wäre z.B. auch ein Outsourcing des Fuhrparks einer Wohnungsgesellschaft an einen Car-Sharing- Anbieter, eventuell im Rahmen einer Paketlösung mit Sonderkonditionen für das private Car-Sharing der eigenen Mieter oder Wohnungsinhaber. Ebenfalls sollte man in Verhandlungen mit dem MVV versuchen, analog zum Job-Ticket vergünstigte Zeitkarten für die BewohnerInnen der autofreien Siedlungen zu bekommen.

Das ganze Paket der Mobililtätsdienstleistungen muss nicht von einem Anbieter stammen, aber die leicht Informationsmöglichkeit über dieses Angebot und der flexible und einfache Zugang zu ihnen sind wichtig. Flexibel heißt: der Kunde darf nicht gezwungen werden, etwas im Paket zu nehmen, was er nicht braucht. Beispielsweise gibt es autofreie Haushalte, die über keine Zeitkarte verfügen, weils sie so gut wie alle Wege mit dem Fahrrad machen; viele autofreie Haushalte brauchen auch kein Car-Sharing, weil sie für ihre wenigen Autofahrten lieber ein Taxi nehmen.

Zielgruppe: Leute, die rechnen können

Autofreies Wohnen wendet sich in erster Linie an Personen, die schon heute autofrei leben. Das sind in München mehr als 30%. Die Gründe sind dabei sehr unterschiedlich, nur ein Teil kann sich kein Auto leisten.

In zweiter Linie wendet sich das Angebot an Personen, die zwar ein Auto haben, für die aber das Geamtangebot einer autofreien Siedlung (also städtebauliche Qualität des autofreien Wohnumfelds, Preisvorteil durch Verzicht auf Tiefgaragen und ein Paket aus Mobililtätsdienstleistungen) attraktiver ist als konventionelles Wohnen mit privatem Pkw. Marktuntersuchungen aus anderen Städten haben gezeigt, dass diese Leute ihr Auto abschaffen wollen, aber nur, wenn sie in ein attraktives autofreies Wohnquartier ziehen können.

Für beide InteressentInnen-Gruppen gilt: es sind Leute, die eine nüchtern abwägende Einstellung zum Autobesitz haben und rechnen können. Nicht der verbissene Öko-Fanatiker ist der typische Kunde. Das Marketing für autofreie Siedlungen muss dies berücksichtigen.

Daneben gibt es noch ein dritte Gruppe von InteressentInnen: sie wollen ein autofreies Wohnumfeld, ohne auf den Besitz eines privaten Pkws zu verzichten, sind aber bereit, einen längeren Weg zu einem Stellplatz am Rande der Wohnsiedlung in Kauf zu nehmen. Im Freiburger Modell-Stadtteil Vauban hat man diesem Wunsch rechnung getragen und sowohl autofreies als auch sog. Stellplatzfreies Wohnen mit den entsprechenden Quartiersgaragen am Rand der Siedlung vorgesehen. Dieses Konzept kommt auch Wohnungseigentümer entgegen, die zwar ohne Auto leben, aber ohne Stellplatz eine ungünstige Wertentwicklung ihrer Wohnung befürchten.

Wohnumfeldqualität – auch rechtlich abgesichert

Die rechtlichen Aspekte der Autofreiheit wurden bereits frühzeitig und ausführlich untersucht, weil man Mitte der 90er-Jahre juristisches Neuland betrat. Man musste deshalb auch extreme, theoretische denkbare Fälle durchspielen und juristisch abklopfen. Heute gibt es eine Reihe von tragfähigen Modellen (so auch für die Messestadt Riem in München), auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann. Auf folgende Aspekte sollte jedoch hingewiesen werden:

  • Die derzeitige Gesetzeslage zwingt zu relativ komplizierten Konstruktionen, nicht etwa die regelungswut der Leute, die dias Konzept entwicklet haben. Die Forderung an den Gestzgeber bleibt, Wohnungsbau und Stellplatzerrichtung zu trennen und den Stellplatznachweis bzw. die Stellplatzkosten statt dessen an die Kfz-Nutzung zu binden.
  • Die rechtliche Festschreibung der Autofreiheit gibt den BewohnerInnen die Garantie, dass der autofreie Charakter einer Wohnanlage langfristig erhalten bleibt, stellt also für die BewohnerInnen nicht in erster Linie eine Einschränkung dar (indem sie den privaten Autobesitz bis auf ganz wenige Ausnahmen ausschließt).
  • Es sollte an Mischmodelle à la Freiburg gedacht werden, bei denen autofreies Wohnen im klassischen Sinn und stellplatzfreies Wohnen kombiniert werden.

Solange der autofreie Charakter des Projekts und der Kostenvorteil für die autofreien Haushalte gesichert sind, erscheinen uns besonders rigide Regelungen zum Autoverzicht überflüssig, da die Nutzung eines differenzierten Mobilitätsangebotes attraktiver ist als der private Autobesitz. Allerdings muss gegenüber der LH München nachweisbar sein, dass der Stellplatzpflicht nach LBO genüge getan wird.

In der Messestadt Riem wurde für die autofreien Projekte eine Lösung gefunden, bei der insbesondere keine Flächen für eine eventuelle Stellplatznachrüstung vorgehalten werden müssen.

Autofreies Umfeld – der Rahmen muss passen

Wohnen ohne Auto ist ein städtebaulilches Konzept. Das bedeutet Maßstäblichkeit, Baumassenanordnung, Art und Ausmaß der Funktionsmischung, Organisation und Ausgestaltung des öffentlichen Raums, Wegebeziehungen usw. sind in einem solchen Gebiet anders als in einem konventionell geplanten. Dem entspricht eine andere Nutzung der Aussenflächen. Man kann sich hier als FußgängerIn wohl fühlen und z.B. seine Kinder unbesorgt draußen spielen lassen.

Für den/die Planer/in bietet das Bauen ohne Tiefgaragen und Zufahrten neue Möglichkeiten für eine hochwertige, an ästethischen Maßstäben und an den Wohnbedürfnissen orientierte Architektur. Beispielsweise können im Kellergeschoss Hobbyräume gebaut werden, deren Flächen nicht auf die GFZ angrechnet werden.

Wenn autofreies Wohnen richtig gemacht wird, profitieren davon BewohnerInnen und Allgemeinheit gleichermaßen. Die BewohnerInnen der autofreien Siedlung tragen nicht zu den Verkehrsproblemen in der Stadt bei und ersparen der öffentlichen Hand damit direkte und indirekte Kosten des Verkehrs. Wir halten es für gerechtfertigt, dass dies beim Grundstücksverkauf angemessen berücksichtigt wird.

Autofreies Wohnen setzt eine andere Verkehrserschließung voraus. Die subjektive Entfernung von Fußwegen stimmt nicht zwangsläufig mit der objektiven überein; in einem attraktiven, sinnlich anregenden Umfeld werden längere Fußwege akzeptiert als sonst. Fußwege sollten ferner frei von Barrieren und Angsträumen sein und keine Umwege aufweisen. Rad- und Fußverkehr sollten in der Regel getrennte Verkehrsflächen zur Verfügung stehen.

Aber ein Fußgänger- und Radler-freundliches Umfeld umfasst neben der entsprechenden Verkehrsplanung noch viele, psychologisch wichtige Kleinigkeiten. FußgängerInnen und RadlerInnen wird in einem solchen Umfeld vermittelt, dass sie willkommen sind und als VerkehrsteilnehmerInnen ernst genommen werden.

Gerade im Wohnumfeld, wo ja die unausgesprochene Frage der Interessent- Innen immer lautet „Kann ich mich hier zu Hause fühlen?“, spielen diese psychologischen Momente eine wichtige Rolle. Planung und Marketing einer autofreien Siedlung müssen dies berücksichtigen.

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