Autofreie Stadtquartiere

(aus 'Münchner Stadtgespräche 3/1997', die Zeitschrift des Umweltinstitut München e.V.)

Beim Verkehr verhält sich die Bevölkerung weitaus intelligenter als die Politik es wahrhaben will. Dieses intelligente Verkehrsverhalten zu fördern ist ein vordringliches Anliegen der Initiative "Wohnen ohne Auto", einer Gemeinschaftsinitiative Münchner Umwelt- und Verkehrsverbände.

mmer mehr Menschen legen Wert auf gesundes Wohnen und ein attraktives, d.h. grünes und ruhiges, Wohnumfeld.

Zusätzliche Verkehrsbelastungen durch Neubauprojekte in der Stadt werden von den Anwohnem nicht mehr akzeptiert.

 

Andererseits ist Wohnen in Ballungszentren so teuer, daß bei der sich weiter öffnenden Einkommensschere akuter Mangel an preiswertem Wohnraum für kleinere und mittlere Einkommen und für Familien besteht. Durch den alternativen Trend zum "Häuschen im Grünen" wird dagegen die Zersiedelung weiter vorangetrieben und zusätzlicher Verkehr erzeugt. Deshalb gewinnen Modelle autofreier Stadtteile zunehmend an Bedeutung.

Auch in München verfügen rund 40 Prozent der Haushalte über kein Auto. Fast ein Viertel der Bevölkerung lebt in diesen Haushalten und praktiziert damit schon heute eine umweltverträgliche Mobilität. Dennoch ignorieren Politiker und Planer die Interessen dieser starken Minderheit.

Ein gewichtiger Kostenfaktor im Wohnungsbau sind die Pkw-Stellplätze, die nach der Landesbauordnung in der Regel gleich mitgebaut werden müssen. Da diese Kosten zum großen Teil auf die Wohnungskosten abgewälzt werden, finanzieren Haushalte ohne Auto die Tiefgaragenplätze ihrer Nachbarn mit. Entsprechendes gilt auch für die anderen Kosten einer autogerechten Infrastruktur, wie z.B. die Erschließungskosten für breite Zufahrtsstraßen. Bei autofreien Siedlungen sind diese für den motorisierten Verkehr gesperrt. Alle Bewohner verpflichten sich, kein eigenes Auto zu besitzen, solange sie dort wohnen. Trotzdem sind sie mobil. Denn wegen der höheren Nachfrage ist das ÖPNVAngebot in diesen Stadtteilen überdurchschnittlich gut, Radfahren ist sicher und angenehm und bei Bedarf stehen Car-Sharing-Autos zur Verfügung.

Von autofreien Stadtteilen profitieren übrigens alle Seiten: die öffentliche Hand durch geringere Kosten für Bau und Unterhalt von Straßen, die Verkehrsbetriebe durch eine höhere und vor allem auch gleichmäßigere Auslastung ihrer Fahrzeuge, der Einzelhandel und Dienstleister durch eine gestärkte Nachfrage nach wohnungsnahen Angeboten und schließlich die Bewohner selbst, die preiswerter und in einem attraktiveren Umfeld wohnen können. Kinder und alte Leute profitieren am meisten von diesem Konzept. Kinder, weil sie sich schon viel früher selbständig im Freien bewegen können und dabei wichtige soziale Lernerfahrungen sammeln; alte Leute, weil die Autostraßen als Barrieren für ihre Beweglichkeit wegfallen.

Besonders geeignet für autofreies Wohnen sind zentrumsnahe Lagen. Im Eckdatenbeschluß vom 14.10.96 hat der Münchner Stadtrat festgelegt, daß auf dem ehemaligen Messegelände auf der Theresienhöhe auch autofreies Wohnen berücksichtigt werden soll. Andererseits hat der städtebauliche Wettbewerb deutlich gemacht, wie schwer es heute für Stadtplaner ist, in Strukturen zu denken, die nicht von der Dominanz des Autoverkehrs ausgehen.

Bei allen innerstädtischen Neubaugebieten muß ab sofort auch autofreies Wohnen berücksichtigt werden - neben der Theresienhöhe z.B. auch am Max-Lebsche-Platz in Großhadern, auf dem Gelände der Waldmann-Stetten-Kaseme in Schwabing-West und entlang der Linie Hauptbahnhof-LaimPasing. Dafür sind sorgfältig geplante Modellprojekte nötig.

Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung von Wohnungswirtschaft, Stadt, Umweltorganisationen und Bewohnern. Aber auch eine Reform der gesetzlichen Bestimmungen muß in Angriff genommen werden, allen voran die der Stellplatzpflicht in der Landesbauordnung. Sie wurde in den 30er Jahren als Reichsgaragenordnung eingeführt und ist heute nicht mehr zeitgemäß. Sie muß durch Regelungen ersetzt werden, die eine verursachergerechte Kostenzuordnung sicherstellen und umwelt- und stadtverträgliches Verkehrsverhalten fördern.

Bernward Ferber, Wohnen ohne Auto

 

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